Melina Sedó zur Didaktik im Tangounterricht

Wir zitieren uns wichtige Passagen aus dem, auch im Ganzen sehr lesenswerten, Dialog von Cassiel mit Melina Sedó:
Hier das Ganze Interview

Melina:
(...) Anfänger zu unterrichten ist eine große Herausforderung und ist mit einer großen Verantwortung verbunden. Hier kann man auch am meisten „falsch“ machen. Leider werden allzuviele Anfängerkurse oder -Workshops immer noch von „Anfängerlehrern“ unterrichtet. Irgendwie hat sich die Idee breitgemacht, dass man selbst weder gut tanzen, noch viel Ahnung haben muss, um Anfänger zu unterrichten. (...)

(...) nach dem Motto: „Anfänger kann ja jeder unterrichten.“ Das Gegenteil ist richtig: Es ist keine Zauberei, einem sehr fortgeschrittenen Tänzer eine Figur zu zeigen, aber einem Anfänger das Gehen und eine schöne Umarmung zu vermitteln, ist eine Kunst. Zumal: Anfängerkurse sind sehr inhomogen. Die Lehrer müssen sich auf eine Situation einstellen, in der sie tanzerfahrene Personen neben völlig Bewegungsunbegabten unterrichten müssen, Menschen, die ihren Körper schon lange tänzerisch oder sportlich einsetzen und Leute, die nach 40 Jahren sitzender Tätigkeit zum ersten Mal wieder eine koordinierte Bewegung versuchen. (...)

(...) Darüber hinaus gilt es im Anfängerkurs nicht nur, die technische Basis für das spätere Tanzen zu legen, sondern auch eine Philosophie zu vermitteln, die gute „Gesellschaftstänzer“ erzeugt und keine Aspiranten für den Showtanz. (...)

(...) Menschen lernen unterschiedlich. Die Eine braucht die logische Erklärung, der Andere das vorgetanzte Beispiel des Lehrers, der Andere muss einfach genug Zeit haben, selbst auszuprobieren oder muss die Bewegung im Austausch mit dem Lehrer erspüren.... (...)

(...) Das heisst nicht, dass wir nie Figuren unterrichten, aber sie spielen eine sehr untergeordnete Rolle bei uns. Unsere „Anfänger“ haben z.B. nie den Grundschritt auswendig gelernt.(...)

(...) Für uns gibt es 5 Worte (Elemente) im Tango: Schritte in 3 Richtungen, Gewichtswechsel am Platz und das Pivot. Dazu gibt es eine Grammatik: das parallele & gekreuzte System sowie das Wissen um unterschiedliche Drehzentren. Und fertig ist die Sprache Tango, ohne dass wir Sätze (Figuren) auswendig lernen müssen! (...)

(...) Übrigens stellen wir unseren Schülern immer frei, in welcher Art von Umarmung sie tanzen wollen. Unser Konzept ist stilneutral und jede unserer Bewegungen kann in enger, sowie weiter Umarmung angewandt werden. Natürlich ist in enger Umarmung alles schwieriger, weshalb Anfänger häufig erst einmal weit tanzen. (...)

(...) Viele „Maestros“ denken, sie können Tango unterrichten, nur weil sie gute (Show)Tänzer sind, aber das geht meist in die Hose. (...)

(...) Ein guter Tangolehrer wird also seine eigenen Grenzen kennen und nicht behaupten, alles zu verstehen oder zu können. (...)

(...) Wir versuchen den Schüler/innen außerdem ständig zu vermitteln, dass der Tango ein Partnertanz ist und auf der Gleichwertigkeit der Partner aufbaut, dass beide Partner Verantwortung für das den Kommunikationsprozess tragen und aktiv am Tanz mitwirken. (...)

(...) ein begabter, intelligenter Mensch wird durch Videos (auch kurzen Clips auf Youtube) einiges erlernen können. Vorausgesetzt, sie sind gut gemacht und man/frau ist in der Lage, visuelle Information gut umzusetzen. Aber es fehlt natürlich immer die individuelle Rückmeldung und Korrektur, die bei vielen Menschen sehr wichtig ist. Insbesondere dann, wenn man/frau keine so gut entwickelte körperliche Eigenwahrnehmung hat oder Anfänger/in ist. Ein gutes Video, kann also guten Unterricht nicht ersetzen. Ein gutes Video könnte aber durchaus schlechten Unterricht ersetzen... 😉 (...)

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